Anna Konjetzky & Co

Über die Wut // TANZweb.org

Tanz Solo Festival Bonn 2023

Manifest der Empörung

www.tanzweb.org, 05.03.2023 // Autor: Elisabeth Einecke-Klövekorn​

 

„Über die Wut“ von Anna Konjetzky beim Tanzsolofestival Bonn

Es gibt unzählige Gründe, wütend zu sein. Besonders als Frau. Wut ist ein Gefühl, das den ganzen Körper erfasst: Zähneknirschen, Muskelspannung, Steigerung der Pulsfrequenz und des Adrenalinspiegels. Wut macht aber auch stark. Die aus Belgien stammende Tänzerin Sahra Huby zeigt das in der 2021 in den Münchner Kammerspielen uraufgeführten Tanzinstallation „Über die Wut“ von Anna Konjetzky (Choreografie und Bühne) mit selbstbewusster Energie. 2022 wurde sie dafür in der Kategorie Darsteller:in Tanz für den Deutschen Theaterpreis „Faust“ nominiert. Am 4. März war diese beeindruckende Performance nun beim Internationalen Bonner Tanzsolofestival auf der Brotfabrik Bühne zu erleben.
„WUT“ steht in großen Leuchtbuchstaben zwischen den von der Decke hängenden weißen Papierbahnen, die als Projektionsfläche für Bilder von Empörung weckenden Missständen und für Protestaufrufe dienen. „Stop“ ruft Huby ins Mikrofon, das ihre Stimme vervielfältigt. Sie setzt sich, steht wieder auf, springt hoch, taumelt, tobt, stampft, keucht, schreit, schlägt auf unsichtbare Gegner ein. Das ganze zornige Bewegungsvokabular wird durchdekliniert bis hin zum männlich konnotierten Zeigen von muskulösem Bizeps, stolzem Brusttrommeln und Zähnefletschen. Die hochgereckte geballte Faust, der ausgestreckte Mittelfinger: viele symbolische Gesten des Widerstands werden erprobt. Sie ruft die Zeuginnen der Jahrhunderte alten weiblichen Wut auf von Medea und Jeanne d’Arc bis zu Clara Zetkin und Audre Lorde. Auch Greta Thunbergs „How dare you“ ist zu hören.

Ab und zu scheint die Tänzerin in der Flut der Video-Projektionen fast unterzugehen. Der optische Overkill verstärkt indes noch das Gefühl der ohnmächtigen Wut. Akustisch untermalt wird all das von der elektronischen Musik von Brendan Dougherty, die die Performance mitträgt, manchmal sehr laut, aber auch voller sensibler Klangmomente. Mitunter parodiert Huby die aggressiven Gebärden bis hin zu grotesken Verrenkungen und traut sich auch, komisch zu erscheinen. Einmal ballt sie eine Papierbahn zu einem Klumpen, den sie wie eine Maske vors Gesicht hält und dann als wie eine Wolke nach oben hochzieht, wo ein verzerrter Mund darauf projiziert wird. Aber reden allein hilft nicht gegen all die Bedrohungen, Verletzungen und Ungerechtigkeiten.
Wut erschöpft sich freilich auch. Gegen Ende entledigt sich die Tänzerin ihres grauen Overalls, öffnet ihren strengen Haarknoten und tanzt nackt mit wehender Mähne über die Bühne. Ganz leicht und wie befreit von der rasenden Hektik und Anspannung. Es ist ein Aufruf zur Selbstbestimmung. Anna Konjetzkys großartige Inszenierung setzt gegen die Klischees der zornigen Frau als hysterische Zicke eine weibliche Wut, die auf die konkrete Veränderbarkeit der Verhältnisse abzielt. Diese Wut ist nicht nur eine Emotion, es ist eine Energie, die geradezu elektrisiert.  Nach 75 Minuten, langer begeisterter Beifall aus dem ausverkauften Theatersaal. Danach lud das Team das Publikum noch ein zum Vermittlungsformat „Physical Traces“ und der Erkundung eigener Wutenergien.