Anna Konjetzky zeigte im i-camp vorab ihren Beitrag für das Festival BOLZANO DANZA. Einen „Zustand“, ein „Bild der Einsamkeit zu dritt“ beschreibe Anna Konjetzkys Stück “Si un jour tu décides de partir“, steht im Programmzettel. Ein Inhaltsangabe, die maßlos untertrieben ist. Denn was hier ein Kontrabassist und zwei Tänzerinnen in einer knappen Stunde durchleben, ist pure Agonie. Der Abend im i-camp bot alles andere als leicht zu schluckende Kunst. Aber trotzdem faszinierte das sperrige Werk. Auch wenn Konjetzkys Protagonistinnen eine starke Körpersprache zeigen: Es geht nicht unbedingt um physischen Schmerz. Nummer eins (Sahra Huby) leidet an einer Art unsichtbaren Fessel um die Hüftgelenke, dummerweise den zentralen Gelenken jeder Tänzerin. Sie krümmt sich, hüpft, versucht, sich zu öffnen, zu befreien und fällt dabei nur immer wieder in demütigende, gebückte Positionen. Bemitleidenswert, möglicherweise aber auch eine Metapher für geistige Qualen, wie sie auf allen Vieren gleich einer Heuschrecke unter Elektroschocks voran zu kommen sucht. Nummer zwei (Madeleine Fournier) dagegen, als ruhig-lyrischer Gegentyp zu Eins angelegt, wird laufend von einem abgespaltenen Teil ihrer selbst niedergestreckt. Ihr Bein reißt nach oben aus, wirft sie um, stört brachial ihr natürliches Seelentempo. Keine Frage, die Frauen durchleben eine extreme Zwangssituation. Zwar gibt es kurze Erleichterungen. So verschlingen sie sich gelegentlich in intimen Knoten, tragen und helfen einander, reiten sich glücklich. Doch das Ganze hat keinen Bestand und geschieht nur, damit sie einander als Feind entdecken. „Manchmal“ schwebt in Leuchtbuchstaben über ihre hoffenden, umarmenden Körper. Doch dann: „Ich brauche sie lebend, damit ich sie töten kann.“ Und schon wird getreten, erniedrigt und hilflos gezuckt.
Alles schon gesehen könnte man nun denken – gäbe es auf der Bühne nicht eine Nummer Drei, die die Atmosphäre mit Lauten aus dem Kontrabass zerfetzt. Das traurige Grunzen und Sägen des Instruments sowie die gebeugte, Frankenstein-ähnliche Haltung von Musiker Peter Jacquemyn legen solchen Stumpfsinn über die Szenerie, dass klar wird: Das gezeigte Leid währt nicht erst seit gestern. Acht Jahre Kerkerhaft könnten den Zustand verursacht haben, oder 25 Jahre Inzest, oder sechs Jahre im kolumbianischen Dschungel. Die Qual tönt. Sie ist fassbar und wiederholt sich ständig in sich selbst, wie die charakteristischen Bewegungen der Tänzerinnen. Jedoch: Wie es auch die Realität tut, hat Konjetzky eine halsbrecherische Fluchtmöglichkeit choreografiert. Man sieht es von Anfang an am symbolischen Bühnenbild, in dem vier schief stehende, stählerne Bäume ins Unendliche und damit in die offene Zukunft deuten. Eins und Zwei erklettern diese Gestänge des öfteren, hängen sich an sie, umkreisen sie. Sie sind mal Hoffnung, mal bedrohliche Galgen. Zuletzt eine Kulisse für Veränderung. Denn Nummer Drei legt gegen Ende den Kontrabass weg, ergreift Eins, entblößt ihren Oberkörper und vergeht sich an ihr. Die einzige Aussicht darauf, der Agonie zu entkommen. Verständlich, dass es für all das nur schüchternen Applaus gab. Dabei hätten, trotz aller Schwere des Themas, Huby, Fournier und Jacqemyn eine Menge Vorhänge verdient für ihren Mut, sich in so ein Projekt zu stürzen. Kunst ist es aber auch, schmerzhafte Zustände so zu visualisieren wie Konjetzky es tut. Auch wenn sie beim kommenden Tanzfestival in Bozen wohl ebenso schockierten Applaus ernten wird: Die Enzyklopädie des Tanzes braucht auch Stücke wie „Si un jour tu décides de partir“.