Anna Konjetzky & Co

THE VERY MOMENT // Der Standard

THE VERY MOMENT // Der Standard

Anna Konjetzky zeigt virtuos Kontrollverlust am Rande des Tanzes

Der Standard, 23.06.2019 // Autor: Helmut Ploebst
Die Tänzer reizen ihre körperlichen Möglichkeiten aus, die Sommerszene Salzburg zeigte damit ein Glanzstück

Youtube ist ein Fegefeuer, in dem manch ein Pechvogel öffentlich gegrillt wird. Man kann Stunden damit verbringen, sich dort spektakuläre Unfälle und auch entzückende Peinlichkeiten, grandiose Tölpeleien oder herzzerreißende Entgleisungen anzuschauen. Die deutsche Choreografin Anna Konjetzky hat das getan und auf sich wirken lassen. Das Ergebnis ist das in düstere Ironie gebadete Stück The Very Moment. Es gehört zu den Glanzstücken des diesjährigen Sommerszene-Festivals, hier als Kooperation mit der Arge Kultur Salzburg. In perfekter Zusammenarbeit zeigen Konjetzkys fünf überaus individuelle Tänzer die wahre Verbindung zwischen den ewigen Antipoden Tanz und Unfall: Ersterer ist oft ein Triumph der Körperbeherrschung und Zweiterer meist Folge eines Kontrollverlusts. Doch in beiden wirken Dynamiken der Choreografie. Immer wieder reizen Tänzer die Möglichkeiten ihrer virtuosen Körper aus – bis an die Grenze zur Katastrophe. Dafür ernten sie den meisten Applaus. Die Bewegungsmuster eines torkelnden Volltrunkenen können allerdings ähnlich beeindruckend sein. Für den choreografischen Spirit sorgen hier allerdings eher Jim Beam, das Gösser oder der Jägermeister. Natur des Menschen So etwas filmen begeisterungsfähige Leute gern und laden es auf Youtube hoch. Vor allem dann, wenn aus dem Schwanken ein Sturz ohne Wiederaufstehen wurde. Jede dieser Veröffentlichungen lässt auf die persönliche Beschaffenheit des jeweiligen Uploaders schließen. Und die Gefühle beim Anschauen sagen etwas über die Natur des Menschen aus. Dabei spielt nicht die schlichte Gier nach dem Desaster mit, wie Konjetzky hervorstreicht. Vielmehr wirkt auch der authentische Reiz eines entscheidenden Kipppunkts – The Very Moment –, auf den hintreibend der Zuschauerkörper reichlich Botenstoffe produziert. Eigens bearbeitetes Youtube-Material zeigt im Stück vor allem den Aufbau dieses speziellen Suspense. Es handelt sich um Motive, die wir aus Slapstick- oder Comicfilmen kennen. Deren fiktive Desaster sind mittlerweile so perfekt im kulturellen Gedächtnis verankert, dass den Konsumenten von realistischen Videoclips zwar der Unterschied bewusst ist, ihre Hinterstübchen sich dieser Erkenntnis aber verschließen. Deswegen kann die Mehrheit ungehemmt im Spannungsaufbau baden und im Augenblick des Ereignisses die Abfuhr dieses Suspense genießen: vielleicht sogar umso mehr, je größer der Zwiespalt wird. Widersprüche von Fiktion und Wirklichkeit Youtube trägt also dazu bei, die Wirklichkeit in Fiktion umzuwandeln, so wie umgekehrt der Tanz – wie alle darstellenden Künste – Fiktion als eine Wirklichkeit vorführen kann. Mit diesen Widersprüchen spielen Anna Konjetzkys Tänzer in geradezu glorreicher Ungerührtheit. Schamlos und souverän imitieren sie Kontrollverluste aus den Niederungen des Alltags als tänzerische Inspirationen. Aber noch mehr machen sie sich über den Fetisch der Virtuosität lustig, dem schließlich nicht nur im Tanz, sondern auch in der Leistungsgesellschaft allzu oft und vorschnell gehuldigt wird. (Helmut Ploebst, 23.6.2019) Sommerszene Salzburg

THE VERY MOMENT // Tanznetz

THE VERY MOMENT // Tanznetz

Die negative Utopie wird positiv

Tanznetz, 23.12.2018 // Autor: Karl-Peter Fürst
Anna Konjetzky zeigt “The Very Moment” an den Münchner Kammerspielen.

München – In „The Very Moment“, dem neuen Tanzstück der Choreografin Anna Konjetzky, die zum wiederholten Mal mit den Münchner Kammerspielen kooperiert hat, passiert zunächst wenig. Drei Frauen und zwei Männer stehen auf der Bühne wacklig auf halber Spitze und deuten abwechselnd aufeinander. Die gegenseitige Beobachtung verunsichert zusätzlich. Einer der Tänzer, Maxwell McCarthy, nimmt ein Mikrofon, erklärt Beeinträchtigungen wie Schwerkraft, Bodenhaftung und Balanceverlust, kommentiert instabile Positionen sowie die Anstrengungen, sie zu halten. Er filmt mit einem iPhone Körperteile, die auf die Rückwand in mehreren Feldern projiziert werden. Dann thematisiert er mit den anderen TänzerInnen als Versuchspersonen die Angst, in Momenten ihrer Schwäche, wenn sie scheitern oder stürzen, gefilmt und auf YouTube ins Netz gestellt zu werden. Da scheint es besser, nie die Kontrolle zu verlieren.

Damit hat Anna Konjetzky die Thematik ihres neuen Projekts umrissen und die Voraussetzung für weitere Erkundungen geschaffen.

Nachdem in mehreren Sequenzen zum wummernden Sound ihres Komponisten Brendan Dougherty, in den sich kraftvolle Bässe schieben, alle fünf TänzerInnen mit hörbaren Atemstößen ihren Energieausstoß verdeutlicht haben, erscheint auf Videos von René Liebert ein gestürzter Marathonläufer am Straßenrand. Eine Tänzerin stürzt auch, versucht aus derselben Position aufzustehen, taumelt erschöpft. Man kann sich in Lage und Gefühl des gestürzten Athleten versetzen, aber die Bilder wechseln schnell, zum Beispiel zu einem torkelnden Betrunkenen. Und die TänzerInnen erscheinen mit ihrer Illustration der unkontrollierten Momente plötzlich selbst als Projektion. So verdichtet ein Verwirrspiel mit unserer Perspektive das Geschehen.

Dieses nimmt zunehmend Fahrt auf. Rhythmisches Kippen des Rumpfes variiert zwischen Tempo und Statik, wackelnde Knie versetzen die Oberkörper ins Kreisen, auf Stürze folgt mühsames Aufstehen, und zum wiederholten Mal beginnt alles von vorn.

Dieses Mal mit Versuchen, die Vertikalität nicht zu verlieren, Risiken aus dem Weg zu gehen. Zu Sätzen wie „Wenn Durchhalten das Einzige ist, was wir gewinnen können, sind wir Verlierer“ wirft diese optisch und verbal fortschreitende Analyse Fragen nach Autonomie- und Motivationsverlusten auf, nach dem Warum, nach dem Wozu und dem eigenen Gefühl dabei. Aber die TänzerInnen bewegen sich weiter intensiv, und die Andeutung einer negativen Utopie wird positiv. Zwar wackelt Sahra Huby wie ein Plastikdackel mit dem Kopf, demonstriert, wie sie zu Dingen oder Spielzeug wird, doch als die anderen die Bewegung aufnehmen, entsteht schon so etwas wie eine moderne Tanzsequenz, die sich, kaleidoskopartig projiziert, in hohem Tempo überschneidet.

Musik und Movements passen oft frappierend, und das Entwickeln tänzerischer Formen aus Momenten des Scheiterns, die nicht mehr kontrolliert sind, beeindruckt. Man weiß, woher die Bewegungen kommen. Die Authentizität wird spektakulär betont, wenn alle fünf TänzerInnen ihre instabilen Positionen halten, während ein Sportreporter das wie rasend kommentiert und die unzähligen Projektionen aus der Außenwelt in Sekundenschnelle wechseln. Da torkelte auch Amy Winehouse bei einer einfachen Pirouette.

Hier macht Sahra Huby mit ihrem iPhone nach virtuosen Stürzen Selfies, die als Projektion pulsieren. Anschließend der Satz „Wir haben die Videos. Oder waren wir da und haben es nicht mitbekommen?“ Insgesamt: ein starker Appell von Anna Konjetzky und ihren sich hellwach verausgabenden TänzerInnen (neben Sahra Huby sind es Sooyeon Kim, Maxwell McCarthy, Quindell Orton und Robin Rohrmann) nicht an Vorgeschriebenem festzuhalten, sondern präsent zu sein, den entscheidenden Moment autonom zu nutzen. Auch aufgrund von Dramaturgie (Sarah Israel), Bühne (Andrey v. Schlippe) und Beleuchtung (Wolfgang Eibert) ist dieser aufrüttelnden Produktion viel Publikum zu wünschen.

THE VERY MOMENT // KULTURA-EXTRA

THE VERY MOMENT // KULTURA-EXTRA

Balancierst du noch oder fällst du schon?

KULTURA-EXTRA online, 22.12.18, 11’52 // Autor: Petra Hermann
Tanz ist Sprache, Sprache des Körpers. Und Sprache des verkörperten Augenblicks, des VERY MOMENT.

Besonders bei zeitgenössischen Tanz-Installationen wie denen von Anna Konjetzky. Sie ist ein in München lebender Star der internationalen Tanz-Szene. Seit 2005 kreiert sie auf der Grundlage ihrer Ausbildung an der internationalen Körpertheaterschule „Lassaad“ in Brüssel Tanz-Stücke, die weltweit auf Festivals zu sehen und ausgezeichnet worden sind. Aktuell wird sie von der Stadt München gefördert. Seit 2014 arbeitet sie auch mit den Münchner Kammerspielen zusammen.

Man konnte also gespannt sein auf ihr neuestes Werk – und ist von Anfang an fasziniert:

Auf der kargen, dunklen Bühne zu minimalistischer Musik drei Tänzerinnen und zwei Tänzer, ein Mikrophon und ein I-phone. Die fünf stehen auf den Ballen ihrer Füße, einer zeigt auf den anderen, minutenlang. Das strengt schon beim Zuschauen an. Leichtes Schwanken. Wann wird der erste seine aufrechte Haltung aufgeben? Wann das Gleichgewicht verlieren, ins Straucheln kommen? Wann wird’s einem schlecht? Fragen, die auch der Spielleiter stellt und damit das Tanz-Spiel eröffnet. In seinem Verlauf probieren sich alle aus, tanzen für sich und gegeneinander an, gehen an ihre Grenzen, filmen sich dabei – und spiegeln so Grundbefindlichkeiten des Menschen. „Standhaft sein“ zum Beispiel. Eine der Tänzerinnen hält und hält ihre Position. Doch ihr Halt, eben die aufrechte Haltung, verbirgt auch ihre Angst. Angst vor einem Krampf, dass die Sehne reißt, ihr ein Pups entfährt, ja sogar, dass sie das Mikrophon verschluckt, womit ihre Karriere beendet wäre und sie dazu verurteilt, den Rest ihres Lebens Serien auf Netflix anzuschauen. Das ist nicht ohne Witz und tiefere Bedeutung. Wieviel Schaden kann es anrichten, die eigene Position zu halten, vor allem, wenn man nicht weiß, wozu? „Wenn wir uns an nichts festhalten als an uns selbst, sehen wir nicht mal gut aus“, meint der Moderator. Wir sollten für etwas stehen. Recht hat er. Da ist es schon besser und ehrlicher, mal aus dem Tritt zu geraten, zu taumeln, zu stolpern, zu stürzen, das Gleichgewicht zu verlieren. Und dabei die eigene (Körper-)sprache zu finden. Wo die eine abwesend wirkt wie in Trance, kommt der andere nicht aus sich heraus, bleibt verdreht, in sich verwunden. Die dritte steckt fest in ihrem Kopf. Da hilft nur der Druck auf einen roten Knopf. Youtube-Videos, Mitschnitte von Alltagsszenen werden eingespielt und überlagern geradezu lustvoll den Live-Tanz im Vordergrund: Torkelnde Betrunkene im Supermarkt, auf der Straße, auf der Bühne, entkräftete Marathonläufer, vom Schwebebalken fallende Turnerinnen. Momente, in denen der Mensch unsicher wird, labil, seine Autonomie verliert, in Not gerät, sich nicht aufrecht halten kann, nicht mehr hoch kommt. Das Maß aller Dinge – die Vertikale. Die bedeutet aber auch Stillstand, schmerzhaftes Stehen auf dem Ballen, der Ausgangssituation dieser bemerkenswerten Installation. Dabei: kein Weitblick, kein Horizont also, ohne die Horizontale! Ist Stürzen wirklich gleich Scheitern, Fallen gleich Schwäche? Liegt in der Fragilität nicht auch Stärke? Gibt es Leben ohne Bewegung, aber in Perfektion? Menschheitsfragen, klug und witzig gestellt an uns -und die Körperbeherrschung von fünf großartigenTänzerInnen. Danke Anna Konjetzky!

THE VERY MOMENT // Abendzeitung München

THE VERY MOMENT // Abendzeitung München

Anna Konjetzkys Tanztheater „The Very Moment” in der Kammer 3

Abendzeitung München, 21.12.2018 // Autor: Vesna Mlakar

Kurz vor Weihnachten noch einmal den Blick für die Schwachseiten des Menschen schärfen. Das ist der themenfindigen Münchner Choreografin Anna Konjetzky in Kammer 3 der Münchner Kammerspiele mit ihrer Uraufführung „The Very Moment“ überzeugend gelungen. Den kleinen Saal hat sie dazu in eine ovale Arena verwandelt, an deren Rückwand ein Fenster aus vier Bildschirmen prangt.

Zwei Männer und drei Frauen stehen mittendrin, einen Fuß vor den anderen gesetzt. Alle gemeinsam versuchen sie, auf Zehenspitzen die Balance zu halten. Das Spiel des Sich-Messens – wer hält die Position länger, wer körperlich besser aus? – begleitet aus dem Off ein Schnarren (Musik: Brendan Dougherty). Nach und nach beginnen die Augen der Tänzer Wackelmomente bei ihren Mitstreitern auszumachen.

Durch ein Hindeuten ziehen sie gezielt auch die Aufmerksamkeit der Zuschauer nach sich. Und schon finden wir uns in einer interaktiven Lecture Demonstration wieder. Maxwell McCarthy ist Wortführer der Gruppe: „Wenn wir zu unserem Startpunkt zurückgehen, können wir schon einige kleine Unterschiede zwischen uns sehen.“

Das Nahen schwankender Gestalten

Er doziert über das Schwanken und leichte Nachgeben von Körperspannung. Später kommen Stürze hinzu. Häufen sich solche Dinge, resultiert daraus Unschärfe. Außer es gibt eine Durchhalte-Heldin wie Quindell Orton. McCarthy greift nach dem Smartphone und zoomt rund um die tapfere Tänzerin, deren Gelenke im Ballenstand kaum zittern. Dann umkreist er die anderen. Soonyeon Kim scheint gedanklich abzudriften. Sahra Huby vermittelt das Gefühl, langsam kraftlos gen Boden zu sinken. Imperfektion auch bei Robin Rohmann. Ihn erfasst veritables Torkeln und Schütteln.

Ein Bewegungsschema, das der Betrachter schnell mit zeitgenössischem Tanz verbindet. Warum aber passiert genau das niemals, sobald Betrunkene über die Straßen wanken oder sich nach dem Hinfallen damit abkämpfen, die Vertikale auf zwei Beinen wiederzufinden? Worauf Konjetzky hinauswill, wird erst mit der Zeit klar. Spätestens aber als Quindell – weiterhin fleißig balancierend – vor dem Mikro in eine teuflische Angstspirale gerät. Herrlich, was sie sich alles ausmalt, würde sie versagen. Ihr Oberkörper verrutscht, der Kopf schwenkt weg vom Mikrofon.

Schönes Scheitern

Durch technisch raffinierten Videoeinsatz (René Liebert, der auch reale YouTube-Beispiele für erhellende Parallelerlebnisse mit den Live-Aktionen arrangiert hat) wischt ihr Profil megaschnell von einer Seite der Screens auf die andere. „Niemand wird mich mehr angucken können, weil allen dabei schlecht wird“, jammert sie. Die Medienbearbeitung führt das Publikum nah heran.

Und die Show geht weiter. Am Boden wird plötzlich ein Buzzer sichtbar. Betätigen die Tänzer den roten Alarmknopf, ploppen bewegte Bilder einer erschöpften Marathonläuferin oder Leuten auf, die aus dem Tritt gekommen sind. Losgelöst aus ihrem eigentlichen Kontext und live von einem oder allen fünf Performern gedoppelt, bekommen das Scheitern einer Turnerin am Schwebebalken, Amy Winehouses Pirouette unter Alkoholeinfluss und das Krampfen von Muskeln während eines Auftritts eine neue Dimension.

Effizienz und Fragilität des körperlichen Funktionierens werden klug, anschaulich und bemerkenswert vielschichtig hinterfragt. Das macht den Abend, in dem es nicht ums Tanzen, sondern um den Tanz als Recherche für Wahrnehmung geht, lohnenswert. Schlüssig, dass Konjetzky am Ende mit jeder Form bricht. Ihre Crew verliert Konzentration und Haltung, flackt schließlich in sich selbst versunken auf Matten herum. Ein kalkulierter Zusammenbruch von äußerer Struktur und fremdbestimmten Erwartungen. Gut.

THE VERY MOMENT // Bayerische Rundfunk Kulturwelt

THE VERY MOMENT // Bayerische Rundfunk Kulturwelt

Dieses Stück lässt den Blick durch den Körper auf die Welt zu

Bayerische Rundfunk Kulturwelt, 21.12.2018 // Autor: Katharina Huebel-Gohr
Es gibt wenige deutsche Choreographen aus der freien Tanz-Szene, die auch international so bekannt sind wie die Münchnerin Anna Konjetzky. Gestern nun hatte ihr aktuelles Stück “The very moment“ Uraufführung an den Münchner Kammerspielen.

Einer der stärksten Momente ist: als die fünf Tänzer nicht tanzen. Der Still-Stand – im wahrsten Sinne des Wortes – wird zur körperlichen Extremerfahrung: Die Tänzer verharren auf den Zehenballen, eine der kleinst möglichen Standflächen des menschlichen Körpers, mit dem Ziel: sich nicht zu bewegen. Quindell Orton ist die „Profidurchhalterin“ – an die fünf Minuten dauert ihr unbewegtes Solo als sprechendes Stand-Bild, bei dem sie von brennenden Gelenken und schweißnassem Rücken berichtet und es auf amüsante Art versteht, sich Worst-Case-Szenarien auszumalen: als Blut und Knochen-Matsch zu enden oder gar das Mikrofon zu verschlucken, vor dem sie steht. Maxwell McCarthy hat die Rolle des Analytikers. Er erklärt, was anatomisch bei den Tänzern geschieht, während sie versuchen, Haltung zu bewahren – körperliche Schwerstarbeit. Wofür?

(…). Choreographin Anna Konjetzky (…) so sagt sie selbst: “Ich glaube, die arbeitet gegen sich selbst, diese Gesellschaft, man arbeitet als Mensch auch gegen sich selbst, ich glaube, dass es ganz wichtig ist, auch zu taumeln.”

Vielfalt des Scheiterns

Und um das Taumeln, Fallen, aus dem Tritt geraten, Torkeln, Kippen, Stürzen geht es dann hauptsächlich in “The very moment“. Es kommt wie eine Erlösung, es sind Bewegungen ohne Namen, aber mit interessanten Formen, ungeahnten körperlichen Winkeln, Herausforderungen an die Muskeln und Gleichgewichtsorgane. (…)

Anatomisch großartig und variantenreich Sahra Huby, die aus dem Körperexperiment wahrhaftig Tanz zu gestalten schafft, wissenschaftliches Interesse an der Bewegung und Körperflow zusammenbringt. Per Buzzer holen die Tänzer die Youtubeclips in ihren Raum – das Spiel beginnt. Sie filmen sich mit dem Smartphone. Livebild und Clips überlagern sich. Der ewig reproduzierbare Moment des Internetclips und der Tanz als Moment-Kunst wirken plötzlich zusammen. Dadurch wird der eine Moment des Scheiterns vom Missgeschick zum ästhetischen Erlebnis. Statt Schadenfreude: Bewegungsfreude. Dem Kampf gegen den eigenen Körper setzt Anna Konjetzky lustvolles Taumeln und Stolpern entgegen: “Das Loslassen, das Nicht-Effektivsein, das nicht unbedingt in eine Norm passen. Es braucht eigentlich Raum, um Umwege zu machen, um daneben zu liegen, es muss Raum geben, um zu verkacken, Raum, Mensch zu sein. “Wir sind zurück“, so die Botschaft der Tänzer. Entdeckungsreich und anregend ist “The very Moment”: ein Stück kluges, präzises Tanztheater.

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