Anna Konjetzky & Co

THE VERY MOMENT // KULTURA-EXTRA

Balancierst du noch oder fällst du schon?

KULTURA-EXTRA online, 22.12.18, 11’52 // Autor: Petra Hermann
Tanz ist Sprache, Sprache des Körpers. Und Sprache des verkörperten Augenblicks, des VERY MOMENT.

Besonders bei zeitgenössischen Tanz-Installationen wie denen von Anna Konjetzky. Sie ist ein in München lebender Star der internationalen Tanz-Szene. Seit 2005 kreiert sie auf der Grundlage ihrer Ausbildung an der internationalen Körpertheaterschule „Lassaad“ in Brüssel Tanz-Stücke, die weltweit auf Festivals zu sehen und ausgezeichnet worden sind. Aktuell wird sie von der Stadt München gefördert. Seit 2014 arbeitet sie auch mit den Münchner Kammerspielen zusammen.

Man konnte also gespannt sein auf ihr neuestes Werk – und ist von Anfang an fasziniert:

Auf der kargen, dunklen Bühne zu minimalistischer Musik drei Tänzerinnen und zwei Tänzer, ein Mikrophon und ein I-phone. Die fünf stehen auf den Ballen ihrer Füße, einer zeigt auf den anderen, minutenlang. Das strengt schon beim Zuschauen an. Leichtes Schwanken. Wann wird der erste seine aufrechte Haltung aufgeben? Wann das Gleichgewicht verlieren, ins Straucheln kommen? Wann wird’s einem schlecht? Fragen, die auch der Spielleiter stellt und damit das Tanz-Spiel eröffnet. In seinem Verlauf probieren sich alle aus, tanzen für sich und gegeneinander an, gehen an ihre Grenzen, filmen sich dabei – und spiegeln so Grundbefindlichkeiten des Menschen. „Standhaft sein“ zum Beispiel. Eine der Tänzerinnen hält und hält ihre Position. Doch ihr Halt, eben die aufrechte Haltung, verbirgt auch ihre Angst. Angst vor einem Krampf, dass die Sehne reißt, ihr ein Pups entfährt, ja sogar, dass sie das Mikrophon verschluckt, womit ihre Karriere beendet wäre und sie dazu verurteilt, den Rest ihres Lebens Serien auf Netflix anzuschauen. Das ist nicht ohne Witz und tiefere Bedeutung. Wieviel Schaden kann es anrichten, die eigene Position zu halten, vor allem, wenn man nicht weiß, wozu? „Wenn wir uns an nichts festhalten als an uns selbst, sehen wir nicht mal gut aus“, meint der Moderator. Wir sollten für etwas stehen. Recht hat er. Da ist es schon besser und ehrlicher, mal aus dem Tritt zu geraten, zu taumeln, zu stolpern, zu stürzen, das Gleichgewicht zu verlieren. Und dabei die eigene (Körper-)sprache zu finden. Wo die eine abwesend wirkt wie in Trance, kommt der andere nicht aus sich heraus, bleibt verdreht, in sich verwunden. Die dritte steckt fest in ihrem Kopf. Da hilft nur der Druck auf einen roten Knopf. Youtube-Videos, Mitschnitte von Alltagsszenen werden eingespielt und überlagern geradezu lustvoll den Live-Tanz im Vordergrund: Torkelnde Betrunkene im Supermarkt, auf der Straße, auf der Bühne, entkräftete Marathonläufer, vom Schwebebalken fallende Turnerinnen. Momente, in denen der Mensch unsicher wird, labil, seine Autonomie verliert, in Not gerät, sich nicht aufrecht halten kann, nicht mehr hoch kommt. Das Maß aller Dinge – die Vertikale. Die bedeutet aber auch Stillstand, schmerzhaftes Stehen auf dem Ballen, der Ausgangssituation dieser bemerkenswerten Installation. Dabei: kein Weitblick, kein Horizont also, ohne die Horizontale! Ist Stürzen wirklich gleich Scheitern, Fallen gleich Schwäche? Liegt in der Fragilität nicht auch Stärke? Gibt es Leben ohne Bewegung, aber in Perfektion? Menschheitsfragen, klug und witzig gestellt an uns -und die Körperbeherrschung von fünf großartigenTänzerInnen. Danke Anna Konjetzky!